Premierenkritik:
Wagners Meistersinger
an der Staatsoper im Schillertheater
Zum Charakter der Deutschen gehört nicht nur, dass bei ihnen – wie Nietzsche meinte – die Frage „Was ist deutsch?“ niemals ausstirbt – es fallen uns traditionell auch keine gescheiten Antworten ein. Beziehungsweise immer wieder die gleichen. Wagners Meistersinger sind der beliebteste Tummelplatz von frei- und hauptberuflichen Deutschlanddeutern, die szenische Umsetzung einer als präfaschistoid begriffenen Ideologie ist sozusagen Standard. Auf diesen Holzweg begibt sich Regisseurin Andrea Moser glücklicherweise nicht. Aber ihr Versuch, ein festlich bewimpeltes Gegenmodell zu entwerfen, funktioniert genauso wenig. Überall werden Deutschlandfahnen geschwenkt, schwarz-rot-goldene Luftballons steigen in die Höhe und am Ende befinden wir uns vor der rekonstruierten Berliner Schlossfassade. Einheit gut, alles gut? So naiv möchte Moser nun auch wieder nicht sein, weswegen sie in der Prügelszene eine Horde besoffener Punks auftreten lässt und einen Rabbi, der sich in dieser Gesellschaft nicht besonders wohlfühlt – zwei der plattesten Inszenierungselemente überhaupt, abgegriffen seit Jahrzehnten. Fehlt nur noch die Waffen-SS oder der Stasi-Offizier…
Der 1. Akt hatte vielversprechend begonnen: die Meistersinger als eine Versammlung von Aktionären im holzgetäfelten Konferenzraum (Bühnenbild: Jan Pappelbaum), Stolzing muss sein Lied vor einer Sponsorentafel singen, auf der die Namen der alteingesessenen Meister stehen. Aber wie passt das zum 2. und 3. Akt? Wie passt die mittelalterliche Pluderhose Beckmessers (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) zum Businessdress der Meistersinger und zu Evas schwarzem Glitzerkleider? Gar nicht. Hier passt nichts zu nichts. Das ist die Crux einer Produktion, die auf allen anderen Feldern überdurchschnittlich hohes Niveau erreicht. Man mag Barenboims schrägen, manieristischen Einstieg mit dem Vorspiel etwas gewöhnungsbedürftig finden, insgesamt bewähren sich Orchester und Dirigent in ihrem Standardrepertoire hervorragend.
Sie finden dabei adäquate Unterstützung durch eine erlesene Sängerriege. Wolfgang Koch (Hans Sachs) wurde von der Maske in Guildo Horn verwandelt, singt dann aber nicht „Piep piep piep, ich hab euch lieb“, sondern einen wirklich bewegenden Fliedermonolog; Julia Kleiter (Eva) gelingt eine ansehnliche, hörenswerte Deutung dieser selbstbewussten jungen Frau, bietet erfreulich viel Charme und Chic; Markus Werba (Beckmesser) zeigt, dass der unglücklich verliebte Korinthenkacker mehr ist als nur eine Karikatur; und Klaus Florian Vogt (Stolzing) begeistert einmal mehr mit seiner jungenhaft timbrierten Stimme, die nichts von ihrer Frische und Unschuld verloren hat – noch immer der originellste, weil charakteristischste Tenor weltweit! Ihm assistieren einige seiner berühmten Vorgänger.
Die Staatsoper hat für kleinere Rollen große Namen verpflichtet, Siegfried Jerusalem, Reiner Goldberg und den Bassbariton Franz Mazura, alle weit über siebzig, Mazura sogar über neunzig. Köstlich mitanzusehen, wie die Altmeister den jungen Stolzing auf joviale Art bossen. Es ist der einzig ernst zu nehmende Regieeinfall an diesem Abend. Aber vielleicht braucht man auch gar nicht so viele Einfälle, wenn ein Klaus Florian Vogt auf der Bühne steht, wenn es eine solche Stimme zu hören gibt, von der wir – wenn es nur erlaubt wäre! – gern sagen würden, dass es eine deutsche Stimme ist…
- Volker Tarnow (hörte die 2. Aufführung am 7. Oktober)
Die Meistersinger von Nürnberg, Staatsoper im Schillertheater
Nächste Vorstellungen: 11., 15., 18. und 22. 10.2015
www.staatsoper-berlin.de