Echo mit Vorecho, doch ohne Nachhall

ECHO

Gedanken zur 20. Echo-Klassik-Verleihung


Haben Sie die Verleihung des ECHO-Klassik Sonntag abend im ZDF gesehen? Dann denken Sie vermutlich: schöne Sachen, nun gibt es also zehn neue stolze Echo-Preisträger. Weit gefehlt. Nach Ende der Fernsehaufzeichnung wurden im Konzerthaus am Gendarmenmarkt rund 15 weitere Preisträger auf die Bühne gebeten, um ohne Laudator, dafür aus den Händen Rolando Villazons und unter dem Beifall des Publikums ihre Echo-Trophäe abzuholen. Doch auch das sind längst nicht alle. Schaut man sich die Preisträgerliste an, staunt man nicht schlecht: 

Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind es sage und schreibe 54 Echos, die in diesem Jahr vergeben wurden. Davon gingen drei an Regisseure von Musik-DVDs, einer an eine Kirchensingschule, die für ihre Nachwuchsarbeit ausgezeichnet wurde. Bleiben 50 Musiker: Solisten und Kammermusikensembles, Chöre und Orchester, die sich nun werbeträchtig Echo-Klassik-Preisträger nennen können.

Obwohl: Werbeträchtig?

Man stelle sich vor, der Oscar würde jedes Jahr an 50 Schauspielerinnen und Schauspieler vergeben: an den besten Hauptdarsteller Krimi/Polizist und den besten Hauptdarsteller Krimi/Täter, die beste Hauptdarstellerin romantische Komödie bis 40 Jahre und die beste Hauptdarstellerin Drama über 70 Jahre, an den besten Hauptdarsteller Film, der im Weltall spielt, usw. usf.

Wäre ein Oscar da noch von Gewicht? Eben.

So aber lockt ein Academy Award das Publikum ins Kino und treibt die Gagen der Schauspieler in die Höhe. Der Echo Klassik dagegen ist eine schöne Medaille für die Künstler-Biografie, ist die Anerkennung einer großen künstlerischen Leistung – mehr nicht. Und deshalb: Gönnen wir es den Ausgezeichneten. Denn auch wenn die großen und einige kleine Plattenfirmen in der Jury mitentscheiden – was ein ziemliches Geschmäckle hat: Verdient haben es die Preisträger alle.

Herzlichen Glückwunsch also auch an Aapo Häkkinen, das Belcea Quartett und Musica Alta Ripa, an Joel Frederiksen, das Vocalconsort Berlin und all die anderen der Öffentlichkeit unbekannt gebliebenen Preisträger. Verbunden mit den besten Wünschen, dass ihr Konzertjahr auch ohne einen geschäftlich ernstzunehmenden Klassik-Preis erfolgreich verlaufen wird.

Wirklich wichtig für die Breitenwirkung ist dagegen ein Auftritt in der Fernsehshow – doch da waren leider wieder dieselben Köpfe zu sehen wie stets. Nichts gegen Sänger wie Jonas Kaufmann, Elina Garanca und Rolando Villazon (in einer Doppelrolle als Moderator und Preisträger), nichts auch gegen Sol Gabetta und Daniel Hope. Doch das Highlight des erstaunlich kurzweiligen Abends war ohne Zweifel der Tubist Andreas Martin Hofmeir, und das nicht nur, weil ihm dank seiner Kabaretterfahrung eine wunderbare Dankesrede gelang. Mehr Mut!, kann man den Fernsehleute da nur (wieder einmal) zurufen.

Ebenso kurzweilig, aber musikalisch ungleich anspruchsvoller geriet übrigens die Premiere eines Formats, das zur festen Einrichtung werden könnte: das „Vorecho!“ am Vorabend in der Villa Elisabeth. Hier präsentierten sich fünf aktuelle und ehemalige ECHO-Preisträger, deren CDs bei einem „Independent Label“, einer konzernunabhängigen Plattenfirma, erschienen sind: Rebekka Hartmann, Hardy Rittner, Andreas Seidel & Steffen Schleiermacher sowie das Amaryllis Quartett und Musica Alta Ripa. Sie alle lernte man, auch dank den substanzreicheren Gesprächen mit Conférencier Werner Dabringhaus, besser kennen.

- Arnt Cobbers

Eine Liste aller ECHO-Preisträger 2013 finden Sie unter:  http://www.echoklassik.de/klassik-preistraeger-2013/

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The New Curiosity Shop: Stanislaw Moniuszkos Oper Verbum nobile

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Moniuszkos Oper Verbum nobile (1861) wird erstmals in Berlin aufgeführt


Die Tschechen triumphieren allerorten, Opernkomponisten aus Polen und Ungarn haben weltweit das Nachsehen. Doch muss das nicht so bleiben. Seit einigen Jahren deutet sich eine panslawische Rehabilitation an, und Stanislaw Moniuszko, seines Zeichens Schöpfer der polnischen Nationaloper, wird zunehmend auch im Ausland wahrgenommen. In Polen stehen seine Werke ohnehin ständig auf den Spielplänen der Opernhäuser. Mit Patriotismus allein ist das nicht zu erklären – Moniuszko war wirklich ein Riesentalent, und seine Bühnenwerke verbinden rassige Mazurkas, Krakowiaks und Polonaisen mit wundersamen lyrischen Einfällen und poetischem Tiefsinn. Sie sind darüber hinaus politisch hellwach, dokumentieren selbst noch in der komödiantischen Verkleidung die Unterdrückung Polens durch seine Besatzer.

Ein großer Mann, äußerlich klein, schüchtern, humpelnd und sehr bescheiden. Aber Vater von zehn Kindern und eben der polnischen Oper! Auch des polnischen Kunstliedes übrigens. Unsterblich ist er durch Das Gespensterschloss (Straszny Dwór) aus dem Jahre 1865. Trotz gelegentlicher Aufführungen im Ausland begann die Karriere dieses Meisterwerkes eigentlich erst vor zehn Jahren, als sich ein Global Player wie die EMI zur Veröffentlichung entschloss. Seitdem geht es sachte voran mit diesem phänomenalen Mann.

Es steht Berlin gut zu Gesicht, dass nun auch mal bei uns etwas für Moniuszko geschieht. Immerhin studierte er vier Jahre in Berlin bei dem ziemlich pedantischen Herrn Rungenhagen. Irgendwie muss der Direktor der Sing-Akademie seine Schüler zum Widerspruch inspiriert haben. Albert Lortzing fiel später ebenfalls durch abweichend humoristisches Verhalten auf, aber halt auch durch satztechnisches Können wie Moniuszko. Im Gotischen Saal der Zitadelle Spandau ist der Einakter Verbum nobile (Das Ehrenwort), eine entzückende Petitesse, jetzt endlich zu sehen. Höchste künstlerische Qualität garantiert der Dirigent Bernhard Forck, bekannt als Konzertmeister der Akademie für Alte Musik Berlin. Das Stück selbst ist mehr als eine harmlose Komödie aus dem polnischen Rokoko (es spielt im 18. Jahrhundert), sondern durchaus eine satirische Abrechnung mit der damaligen polnischen Gesellschaft, insbesondere mit dem Adel, der gemeinsame Sache mit den russischen Besatzern machte. Schon in seinem Bühnenerstling Halka (1858) hatte es Moniuszko gewagt, ein Goralenmädchen zur Hauptfigur zu machen; die musikdramatische Aufwertung von Bauern war im 19. Jahrhundert noch ein revolutionärer Akt. Was wir heute als nostalgischen Folklorismus genießen, besaß vor 150 Jahren eine utopische Dimension.

Es gibt zwei Tonaufzeichnungen dieser Oper. Wer Verbum nobile live erleben will, hat jetzt die einmalige Chance dazu am 4. Oktober in der Zitadelle Spandau.
http://www.kulturhaus-spandau2.de/index.php/whatttoseeandhear/117-konzert-im-gotischen-saal/214-polnische-oper

- Volker Tarnow

 

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„Ein Klavierabend hat immer etwas von Zirkus“

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Der Pianist Boris Berezovsky über Hindemiths Humor, technische Grenzen und die Bedrohung durch Neue Musik

„Ich fürchte, nach diesem Interview kommt niemand mehr ins Konzert“, sagte Boris Berezovsky grinsend mitten im Gespräch, das wir im Dezember 2009 in Potsdam führten – und das zu schön ist, um es nicht noch einmal (leicht aktualisiert) zu bringen. Der 44-jährige Russe ist nicht nur ein phänomenaler Pianist, sondern auch die Lässigkeit in Person. Als ich damals zwei Tage vor seinem Klavierabend im Potsdamer Nikolaisaal ein Interview anfragte, kam die prompte Rückmeldung: Man könne Herrn Berezovsky heute nicht erreichen und wisse auch noch nicht, wann und wie er anreise, aber das ginge bestimmt, er sei sehr unkompliziert. Und wirklich: Drei Stunden vor Konzertbeginn saßen wir in der ersten Zuschauerreihe im Saal. Mal antwortete er ernst, mal schickte er seinen Aussagen ein schelmisches Grinsen hinterher oder lachte fröhlich.

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„Brahms mit Bierbauch gibt’s auf alten Flügeln nicht“

rittner

Der Pianist Hardy Rittner hört und kommentiert CDs seiner Kollegen, ohne dass er erfährt, was er hört

Seine Aufnahmen von Brahms und Schönberg auf historischen Flügeln haben nicht nur für Aufsehen gesorgt, sie haben auch viele Kritiker überzeugt. Im Konzert spielt der 32jährige Wahl-Berliner allerdings meist auf einem modernen Flügel – aus praktischen Gründen. Beim Blind gehört zeigt sich, dass Hardy Rittner, der Klavier, Musiktheorie und bei Siegbert Rampe in Salzburg historische Tasteninstrumente studiert hat, gewichtige Gründe für seine Instrumentenwahl hat.

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