Der König tanzt

 Dornrschennl

Premierenkritik: Tschaikowksys Dornröschen
mit dem Staatsballet an der Deutschen Oper

Nein, wir befinden uns nicht bei Jean-Baptiste Lully und seinem Sonnenkönig – aber auch König Florestan tanzt, obwohl er sonst nie tanzt: Nacho Duato, der neue Leiter des Berliner Staatsballetts, erlaubt ihm und der Königin ein paar Schritte.  

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Ein echter Symphoniker

 Carlnielsen

Herbert Blomstedt über Carl Nielsen

Das Jahr 2015 ist das Jubiläumsjahr gleich dreier großer Symphoniker, die alle 1865 geboren wurden: Jean Sibelius, Alexander Glasunow und Carl Nielsen. Der schwedische Dirigent Herbert Blomstedt ist einer der wenigen, die die Werke des dänischen Komponisten seit langem schon immer wieder aufs Programm setzen. Bei einem Interview, das Arnt Cobbers im Jahr 2005 mit ihm führte, gab er auf die Frage, was ihn an Nielsens Musik fasziniere, aus dem Stehgreif eine geradezu umfassende Einführung.  

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"Wir machen zeitgenössische Musik"

Spark


Ein  Blind gehört mit Andrea Ritter und Daniel Koschitzki von Spark

 

Ihr ungewöhnlicher Stilmix, den sie auf zwei Blockflöten, Geige, Cello und Klavier mit der „Power“ einer Rockband präsentieren, bescherte ihnen 2011 den ECHO in der Kategorie „Klassik ohne Grenzen“. Ihre CD „Folk Tunes“ beim Marktführer „Deutsche Grammophon“ wurde ein Jahr später ein ziemlicher Erfolg. Nach drei Jahren Pause erscheint nun beim Label Berlin Classics die neue CD „Wild Territories“ der Band Spark – Anlass genug, das Blind gehört, das Arnt Cobbers Ende 2012 in Karlsruhe mit den beiden Bandgründern führte, noch einmal zu bringen. Dies sind Andrea Ritter und Daniel Koschitzki, die zuvor dem renommierten Blockflötenensemble Amsterdam Loeki Stardust Quartet angehörten und neben Spark weiterhin als Solisten tätig sind. Beim Anspielen der CDs besprachen sich die beiden anfangs leise wie in einer Quizshow, bevor sie dann, wenn die Musik aus war, eine abgestimmte Antwort gaben. Später kommentierten sie auch während der Musik.  

Alfonso de Sabio: Maravillosos et Piadosos. Quartetto con Affetto 1999. Animato
Andrea Ritter: Das klingt nach einer mittelalterlichen Estampie – so etwas haben wir mit Loeki auch gespielt, das macht total Spaß. Durch die Bordunklänge und die improvisationsartigen Linien, die man darüber spielt, eignet sich das sehr für Blockflötenensembles. Und man kann, vor allem wenn man in Kirchen spielt, wunderbare Farben und Klanglandschaften schaffen. Daniel Koschitzki: Mich hat es auch sehr angesprochen. Dass es Loeki nicht ist, haben wir beide sofort gehört, dafür kennen wir den Klang der Gruppe zu gut. Ich glaube zwischendurch gehört zu haben, dass eine Frau atmet – das klingt anders als bei einem Mann. Und es hat insgesamt viel weibliche Energie. Ich müsste mich sehr irren, wenn es nicht ein weibliches Flötenquartett wäre. [Stimmt!] Da gibt es nicht so viele. Nicht Flautando Köln? Dann ist es das Quartetto con Affetto. Gut gemacht, die improvisatorischen Einlagen sind phantasievoll gestaltet. AR: Blockflötenquartett spielen wir gar nicht mehr. Dieses Repertoire haben wir mit Loeki ausgelotet, und als das auseinanderging, war klar, es musste was Neues kommen. Etwas ganz anderes. DK: Wir wollten zeigen, dass die Blockflöte noch ganz andere Möglichkeiten hat.

Antonio Vivaldi: Concerto per flauto g-moll RV 445. Dorothee Oberlinger, Ornamente 99 (2001). Marc Aurel 
AR: Das ist eines der ganz großen Bravourstücke für Blockflötisten. ... Diese Stelle bietet die absolute Höchstschwierigkeit. Super gespielt! DK: Das ist Dorothee Oberlinger, das erkennt man an der blitzsauberen Technik, am Timing, an der Phrasengestaltung, es gibt nicht viele, die dieses Stück so spielen können. Und ich bin mir sicher, das stammt von ihrer ersten Vivaldi-Platte. Sie hat das Konzert vor kurzem nochmal aufgenommen, und da hört man, dass sie über die Jahre noch etwas expressiver geworden ist. Aber auch dies hier ist eine unglaublich schöne Referenzaufnahme. AR: Das ist tolle Musik, aber ich bin schon im Studium in Richtungen gegangen, die noch nicht besetzt sind und wo ich mich besser ausdrücken kann. Ich habe früh die Zusammenarbeit mit Pianisten gesucht, um zum Beispiel neoromantische Musik aus der Mitte des 20 Jahrhunderts zu spielen. DK: Das ist ein kleines, aber sehr feines Repertoire, das wir beide gelegentlich auch im Duo auf die Bühne bringen – ich habe auch Klavier studiert.

Edvard Grieg: Norwegischer Tanz Nr. 2, op. 35. Michala Petri, English Chamber Orchestra: Okko Kamu 1993. BMG 
AR: Michala Petri erkennt man am ersten Ton. Sie hat eine ganz prägnante Art zu spielen. Und ich finde es großartig, wie sie ständig versucht, das Repertoire zu erweitern. DR: Sie ist die einzige, die der Blockflöte als solistisches Instrument außerhalb des Barockrepertoires ein großes Podium verschafft hat. Ich habe sie zwei, drei Mal live gesehen – sie ist allein schon technisch über jede Kritik erhaben. Und sie spielt unglaublich sauber, was verdammt schwer ist auf der Blockflöte, wenn es in entlegene Tonarten geht – da muss man mit halben und Viertellöchern arbeiten. Da kann man nur sagen: Hut ab. AR: Diesen Grieg zu spielen, reizt mich jetzt nicht. Aber aus Michala Petris Kompositionsaufträgen für Blockflöte und Orchester sind einige sehr schöne Stücke entstanden.

Kolsimcha - The World Quintett: Flatbush Minyan Bulgar, aus: The World Quintet 2002. enja 
DK: Das ist das World Quintet, von denen haben wir schon einige CDs im Tourbus angehört. Die sind super. Unterhaltsam, mit sehr viel Anspruch und cleveren Arrangements. Jazz ist ein Universum für sich. Mein Bruder hat Jazz studiert, da habe ich etwas Einblick bekommen in die Komplexität von Jazz-Improvisation. Ich finde es ganz schwierig, sich als klassischer Musik ex hohlo Baucho anzumaßen, man könne das. Das geht meist in die Hose. Wir fünf haben uns ganz klar entschieden: Vom Jazz lassen wir die Finger. AR: Wir improvisieren gern in den Proben und wenn wir ein neues Stück erarbeiten, aber im Konzert ist alles ausnotiert. Natürlich gibt es Freiheiten in Überleitungen zwischen den Stücken oder in Kadenzen, aber das sind eher kleine Teile. DK: Der Schlagzeuger dieser Gruppe ist Klasse. Als wir angefangen haben mit Spark, haben uns viele Komponisten geraten, ein Schlagzeug hinzuzunehmen. Aber für uns besteht der Reiz darin, die Energie eines Schlagzeugs auf unterschiedliche Instrumente zu verteilen, statt zu sagen: Das Schlagzeug sorgt für den Beat.

Rodrigo Leao: Locus Secretus, aus: Theatrum 1996. Sony Classical 
DK: Die Oboe ist wahrscheinlich echt, aber der Rest kommt aus dem Synthesizer, oder? (Laut Booklet nicht.) Dann ist es sehr stark nachbearbeitet. Das ist produziert, um die Klassik-Charts zu stürmen. Ich fand das Minimalistische am Anfang ganz schön, aber in dem Moment, wo der Mönchsgesang dazukam, war es vorbei. (lacht) AR: Wobei wir nichts gegen Synthesizer oder Elektronik haben. Die werden wir bestimmt noch mal einsetzen, wir wollen uns in alle Richtungen ausprobieren. Aber dann wird es anders klingen als das hier.

Radio String Quartet Vienna: Moonriver, aus: Radiodream 2011. Act 
AR: Das hat Loeki auch gespielt. DK: Ich suche noch immer nach der Melodie. Ah, jetzt hab ichs auch. Prinzipiell finde ich, dass man mit Arrangements vorsichtig sein muss, und ich weiß nicht, ob wir uns an diesen All-Time-Evergreen heranwagen würden. Ich finde es clever, dass man zunächst die Melodie nicht wahrnimmt und sie bis zum Schluss eingegraben ist in so eine Klangfläche, das ist raffiniert gemacht. Ist es doch das Radio String Quartet? Von denen haben wir alle CDs, nur nicht diese neueste. Das ist eine sehr innovative Truppe, die haben tolle Arrangements. Sie sind durch ihr Label Act vor allem im Jazzbereich unterwegs, könnten aber genauso gut auf Klassik-Festivals spielen. Das Publikum ist erstaunlich offen für Neues, ist unsere Erfahrung. AR: Von Klosterkonzerten bis zur Rockbühne hatten wir schon alles, aber wir laufen eigentlich unter Klassik. Wenn wir in ganz traditionellen Reihen spielen und ältere Leute kommen und sagen: So jung haben wir uns lange nicht mehr gefühlt, dann tut das gut. Da hat man das Gefühl, vielleicht sind wir auf dem richtigen Weg. DK: Ich würde unsere Musik auch nicht als Genre-Fusion bezeichnen, wie es immer wieder getan wird. Wir machen das, was wir uns als wirklich zeitgenössische Musik vorstellen. Vieles von dem, was als zeitgenössische Musik bezeichnet wird, hat für mich den Retrolook der 70er Jahre. Unsere Musik nimmt Anleihen in Rock, Pop, Jazz, Minimal Music, Filmmusik, Volksmusik. AR: Das spiegelt unsere Hörgewohnheiten, die wir aber aus Sicht eines klassischen Musikers weiterentwickeln. DK: Wer uns im Konzert erlebt oder unsere Platten mit aufmerksamen Ohren hört, wird gar nicht auf die Idee kommen, unsere Musik als Pop oder Jazz zu bezeichnen. Wir spielen Klassik, aber mit der Energie der heutigen Zeit.

- Arnt Cobbers 2012 

Alle Interviews und Porträts

„Ich bin ein ganz intuitiver Mensch“

Skride


Ein  Blind gehört mit Baiba Skride

 

„Zu Hause höre ich alles mögliche, aber so gut wie nie Geigenmusik. Nur wenn ich eine Geige im Radio höre, muss ich zuhören. Aber Geiger zu erkennen, darin bin ich ganz schlecht.“ Stimmt nicht ganz, wie sich beim Blind gehört im Jahr 2009 zeigte. Mal hörte Baiba Skride länger zu, mal äußerte sie sich schnell.
Mit 14 Jahren kam die Lettin aus ihrer Heimatstadt Riga zum Studium nach Rostock, seit Jahren lebt sie nun schon, inzwischen mit Familie, in Hamburg. 2001 gewann sie den bedeutenden Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel, und auch wenn sie nicht mehr Exklusiv-Künstlerin von Sony Classical ist, gehört sie nach wie vor zu den erfolgreichsten jüngeren Geigerinnen. Zuletzt hat sie mit den Osloer Philharmonikern unter Vasily Petrenko die Violinkonzerte von Szymanowski aufgenommen.  

Peter Tschaikowsky: Violinkonzert. Jascha Heifetz, London Philharmonic Orchestra: John Barbirolli 1937. Naxos
Das ist auf jeden Fall eine alte Aufnahme. (lacht) Der Klang ist unheimlich intensiv. So spielt man heute nicht mehr, dabei ist das so schön. Natürlich ist es gut, dass sich das Geigenspiel mit der Zeit wandelt, aber da ist auch eine gewisse Qualität verloren gegangen. Das hängt mit der Bogenhand zusammen. Solch eine rechte Hand hat heute kaum noch jemand. Diese unglaubliche Verbindung der Töne... Das ist so sehr klar vom Aufbau her und vom Klang. Ich mag das Tschaikowsky-Konzert sehr, ich spiele es oft, und jedes Mal fühlt es sich an, als käme ich nach Hause. (Es kommt eine virtuose Stelle.) Ist das Heifetz? So perfekt spielt kein anderer. Man hört kein einziges Geräusch zwischen den Noten. Es gibt Leute, die noch schneller spielen können, aber nicht gleichzeitig so sauber und mit dieser Tonqualität. Das ist schon einzigartig. Mich persönlich stört es oft, dass er alles auf diese Technik aufbaut, er wählt manchmal wahnsinnig schnelle Tempi. ... Diese Stelle hier spielt niemand so schnell. Damals wurde ja nichts geschnitten. Natürlich gibt es Leute, die technisch wahnsinnig gut sind. Aber es geht ja darum, die Balance zwischen der Technik, die heute erwartet wird, und dem Musikalischen zu finden. Und das gelingt nicht so vielen, denke ich.

Johann Sebastian Bach: Partita Nr. 1 h-moll. Ilya Gringolts 2002. Deutsche Grammophon
Vom Aufbau und vom Klang her geht es in Richtung Barockgeige, aber das ist eine moderne Geige. Ich finde es gut, dass es Leute gibt, die versuchen, diese Musik historisch wiederzugeben. Es ist schön, dass wir heute so viele Möglichkeiten haben und so vieles wissen. Aber mich reizt es nicht. Wenn man auf Darmsaiten spielen will, muss man das auch wirklich mit Überzeugung machen und nicht nur so ein bisschen. Und deshalb habe ich bislang alle Angebote abgelehnt, Beethoven auf Darmsaiten zu spielen. Ich habe davon einfach nicht genug Ahnung. Und es muss auch nicht sein, finde ich. Wichtig ist, dass etwas musikalisch überzeugend ist. Das ist Gringolts? Ach. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich man Bach sehen kann. Ich spiele ihn ja völlig anders. Bei Bach kommt man nie ans Ende. Das ist eine Musik, die die Seele „reinigt“. Ich höre gern die Kantaten, die Passionen. Aber ich empfinde Bach nicht nur als positiv, da streite ich mich immer mit meinem Mann. Es gibt Stücke, da wird es mir zu viel. Da geht es emotional in solche Abgründe, dass ich richtig depressiv werde – und das darf nicht zu viel werden.

Ludwig van Beethoven: Kreutzersonate. Itzhak Perlman, Martha Argerich 1998. EMI
Der Anfang ist mir zu hart. Natürlich ist das eine stürmische Sonate. Aber bei Beethoven ist mir diese Innigkeit wichtig, die Verwundbarkeit des Menschen, diese feinen Gefühle, die man etwa bei Oistrach am Anfang hört, das fehlt mir hier. Das spielt ein Mann, oder? Es gibt Frauen, wo die Grenzen verschwinden wie bei Anne-Sophie Mutter, aber meist merkt man, ob ein Mann oder eine Frau spielt. Frauen haben kleinere Hände und weniger Kraft in der Bogenhand. Und Männer fühlen auch einfach anders als Frauen, das kann man nicht leugnen. ... Aber insgesamt finde ich die Aufnahme überzeugend. Beim Klavier mag ich das nicht beurteilen, ich habe gar nicht so viel Erfahrung mit Pianisten. Sonaten spiele ich meist mit meiner Schwester Lauma, ich bin sehr treu. (lacht) Das ist Perlman? Ich habe mich nie an ihm orientiert. Ich hatte überhaupt nie ein Vorbild, ich habe immer versucht, von mehreren Geigern etwas mitzunehmen. Natürlich ist es beeindruckend, wie Perlman spielt. Aber sein Spiel löst bei mir nicht so viel aus, wie wenn ich zum Beispiel Oistrach höre. Das sind Feinheiten, die kann man nicht in Worte fassen. Ich möchte die zehn Beethoven-Sonaten gern als Zyklus spielen und vielleicht auch aufnehmen. Mit Lauma erarbeite ich sie mir nach und nach, jetzt [2009] habe ich mich gerade an die zehnte gewagt, die die innigste und wohl auch die schwierigste ist.

Jean Sibelius: Violinkonzert. Ginette Neveu, Philharmonia Orchestra, Walter Süsskind 1946. Dutton
Ach, dieser Anfang, der ist so magisch... Wieder dieser Klang. Da ist so eine Wärme. Ist es Christian Ferras? Den mag ich sehr gern. ... Das gefällt mir sehr gut. Das ist eine Frau? Dann ist es Ginette Neveu. Die musste sich ja nun allein unter vielen Männern behaupten. Sie hat einen sehr männlichen Klang. Aber ich mag ihr Spiel sehr, auch wenn vieles aus heutiger Sicht übertrieben wirkt. Da ist so viel Wärme und Leidenschaft und Überzeugung. Das Brahms-Konzert mit ihr ist eine meiner Lieblingsaufnahmen.

Dmitri Schostakowitsch: Violinkonzert Nr. 1. Vladimir Spivakov, Gürzenich-Orchester: James Conlon 2000. Capriccio
Das ist sehr schön gespielt, aber ich mache den Anfang viel zurückhaltender. Ich versuche eine Atmosphäre zu schaffen, in der noch nicht klar ist, was kommt. Es öffnet sich ja dann sehr schnell. Aber das hier ist mit sehr schönem Klang gespielt, gefällt mir gut. Schostakowitsch war schon früh sehr wichtig für mich. Wenn man als Teenager Liebeskummer hatte oder verzweifelt war, dann war Schostakowitsch da, mit dem man sich zu Gott beschweren konnte. Diese Musik ist so mitreißend und oft auch so böse, da kann man seine eigene Bosheit loswerden, da kann man alles rauslassen, was sich aufgestaut hat. Schostakowitschs Los ist so traurig, aber auch faszinierend, weil er es trotz aller Repressionen geschafft hat, in der Musik zu sagen, was er sagen wollte. ... Ich habe neulich per Zufall wieder meine Aufnahme gehört und dachte: O je, das ist langsam. (lacht) Das war gar keine Absicht, das ergab sich so im Konzert. CDs zu machen ist schön, aber auch beängstigend: Das ist das, was von dir in die Welt hinausgeht und bleibt. Ich bin ein intuitiver Mensch. Ich beschäftige mich schon mit den Hintergründen eines Werkes, aber ich nehme die Welt nicht analysierend, sondern intuitiv auf. Vielleicht ändern sich meine Interpretationen deshalb stärker von Tag zu Tag. Natürlich gibt es einen Rahmen, den man sich erarbeitet hat, aber man erfährt und erlebt ja jeden Tag etwas Neues von der Welt. Und wir Musiker haben diesen wunderbaren Weg, unsere Emotionen zu verarbeiten.

Alfred Schnittke: Concerto grosso Nr. 5. Gidon Kremer, Wiener Philharmoniker: Christoph von Dohnányi 1991. Deutsche Grammophon
Das ist Kremer! Er hat dieses Flüstern in seinem Ton. Wir haben mehrmals zusammen gespielt und verstehen uns gut, aber eine besondere Beziehung verbindet uns nicht. Wenn er nach Riga kam, war das eine Art Volksfest unter Musikern. Er war für die lettischen Geiger ein Nationalheld. Aber ich bin ja schon früh weggezogen, wir haben uns erst viel später auf seinem Festival in Lockenhaus kennen gelernt. – Ich spiele Schnittke sehr sehr gern. Aber ich kann ihn nur in Maßen genießen, weil diese Musik zum Teil so verstörend ist und sich so ins Gehirn einbohrt. Neue Musik spiele ich nicht so viel, da bin ich sehr wählerisch. Ein Werk muss eine Substanz haben, die mir nahe geht. Das Ligeti-Konzert finde ich beeindruckend, das Vasks-Konzert spiele ich sehr gern. Und ich schaue gerade, welcher Komponist etwas für mich schreiben könnte.

Peteris Vasks: Klaviertrio Episodi e Canto perpetuo. Trio Parnassus 2007. MDG
Das habe ich sehr oft gespielt. Nicht mit meinen Schwestern – die zweite ist leider Bratschistin (lacht). Aber oft mit Sol Gabetta. Das ist ein sehr beindruckendes Werk. Das Publikum reagiert am Anfang eher verwundert, aber nach dem Schlussakkord sind sie hin und weg. Leider weigert sich Vasks bislang, ein Violinkonzert für mich zu schreiben. Er sagt, er hat ja schon eins geschrieben. Ich liebe seine Musik, sie ist mir sehr nah. Was das Lettische daran ist? Die Atmosphäre, die vielen Farben, diese emotionalen Schichten. Und die Melancholie. Natürlich, ich bin auch sentimental und melancholisch, das sind alle Letten. (lacht)

- Arnt Cobbers 2009
 

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