Deconstruction of a Cowboy

 arizona

Premierenkritik: 
Kálmáns Arizona Lady 
in der Komischen Oper

Vor vier Monaten hat eine Neunjährige in Arizona versehentlich ihren Ausbilder erschossen; der Gentleman wollte dem Mädchen auf einer Shooting Ranch beibringen, was Neunjährige nun einmal in den USA unbedingt beherrschen müssen, nämlich den Umgang mit automatischen Schnellfeuerwaffen, und die Kleine ist dann tatsächlich sehr schnell gewesen…  

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„Wow, das ist Weltklasse!“

Hope


Ein  Blind gehört mit Daniel Hope

 

Er ist geboren in Südafrika und aufgewachsen in England (wo seine Mutter Assistentin von Yehudi Menuhin war). Er ist irischer Staatsbürger mit Vorfahren aus Berlin und Wohnsitz in Wien – und fast dauernd auf Reisen. Daniel Hope ist einer der gefragtesten Geiger der Welt. Und inzwischen auch ein erfolgreicher Buchautor. Zwischen einem Rundfunkinterview und seinem Abflug zur nächsten Konzertreise trafen wir uns im Jahr 2010 auf eine Stunde in einem Aufnahmestudio des NDR in Hamburg, wo er damals noch wohnte. Hope, der exzellent Deutsch spricht, kommentierte schon während des Hörens. 

Georg Philipp Telemann: Fantasia 4 D-Dur TWV 40:17. Fantasia 5 A-Dur TWV 40:18. Rachel Podger 2002. Channel Classics
Das ist gespielt auf Darmsaiten, mit barocker Stimmung. Es könnte Telemann sein, es erinnert mich an sein a-Moll-Konzert. Ich habe das Gefühl, es hat etwas gedauert, bis er oder sie in die Phrasierungen reingekommen ist. Manchmal klingt es fast wie eine Bratsche, das mag ich. (Fantasia 5) Das gefällt mir nicht so gut. Barockmusik hat so viele Facetten, ist so sprechend. Hier hätte man allein in den ersten zwei Takten so viel zu sagen. Aber mir fehlt das Dialogische, diese Polyphonie, die du brauchst, wenn du allein spielst. Können wir den Anfang noch mal hören? Ja, da fehlt die Stimme. Das war die Einleitung. Und jetzt muss es abgehen. Nein, das ist mir zu brav. Ich finde es gerade so toll an Barockmusik, dass sie nicht brav ist. Sie ist absolut explosiv. Das fehlt mir hier. Auch wenn es sauber und wunderbar gespielt ist. Das ist ein tolles Stück, muss ich sagen. Ich liebe Telemann, der wird gewaltig unterschätzt. Aber die Fantasien kenne ich nicht. Rachel Podger? Das wundert mich. Ihre Aufnahme von Vivaldis La Stravaganza ist phantastisch, da gibt’s nichts Besseres. Aber das gefällt mir nicht so. Mit Concerto Köln und l’arte del mondo spiele ich auch immer wieder auf reinen Darm-a- und e-Saiten. Und ich möchte die Erfahrung nicht missen, das Beethoven-Konzert auf reinen Darmsaiten gespielt zu haben. Das war eine sensationelle Entdeckung für mich. Aber die umsponnenen Saiten sind doch flexibler und leiden nicht unter den Temperaturschwankungen. Allerdings benutze ich immer einen Barockbogen, das macht einen Riesenunterschied. Damit ist man automatisch in eine andere Welt versetzt. Ich spiele viel Barock, ich liebe das.

Felix Mendelssohn Bartholdy: Violinkonzert, 1. Satz. Yehudi Menuhin, Orchestre des Concerts Colonne: George Enescu 1938. Naxos Historical 
(nach 25 Sekunden) Das ist Menuhin mit Enescu und dem Orchestre de Paris. Menuhin erkennt man in drei Sekunden, ich wusste nur noch nicht, welche Aufnahme es ist. Ich kenne fast jede Aufnahme von ihm. Man erkennt ihn am Klang, an den Portamenti, vor allem wie er von einem Ton runter zum nächsten Ton kommt. Er lässt den Finger ganz lange auf dem Griffbrett, bevor er zum nächsten kommt. Dadurch entsteht eine Art Gesang, die nur er macht. Hier ist er jung, da macht er es noch nicht so oft, später wird es manchmal fast manieriert. Hier ist das Tempo auch noch recht langsam, er wurde später schneller und schneller, und das Vibrato wurde brisanter. ... Allein dieser Ausdruck in jedem Ton, das macht es so besonders und so emotional. Menuhin hat mich sehr geprägt, natürlich. Ich höre noch, wie er mir sagt, mach es doch hier so, mach doch dieses da. Aber das ist gefährlich. Das bin nicht ich. Ich spiele in ein paar Tagen das Brahms-Konzert, und meine Noten sind voll von seinen Markierungen und Fingersätzen, in blauem Stift. Wenn ich übe, schaue ich mir das noch mal an, und dann sehe ich seine zum Teil verrückten Fingersätze, die nur er machen konnte. Menuhin war der originellste und verrückteste Geiger, den man sich vorstellen kann. Er ging oft in die ganz hohen Lagen, das ist sehr gefährlich, aber mit seiner Hand konnte er das machen. Das ist eine tolle Aufnahme, und Mendelssohn finde ich sowieso genial. Auch ein Unterschätzter, und er wird es wohl leider bleiben. Aber wenn ich eine einzige Aufnahme von Menuhin aussuchen müsste, wäre es der langsame Satz vom Schumann-Violinkonzert, das er mit Barbirolli aufgenommen hat, als er 16 war – es gibt nichts vergleichbares auf der Welt.

Dmitri Schostakowitsch: Klaviertrio Nr. 2. Gidon Kremer (Violine), Mischa Maisky (Cello), Martha Argerich (Klavier) 1998 
Der Anfang ist sehr schwer für den Cellisten. ... Der Geiger macht für mich zu viel Vibrato. Ich mag es mit ganz wenig Vibrato, dann passt es besser zum Cello-Flageolett. (2. Satz) ... Gut! ... Die spielen nicht die Original-Bogensätze, was ich schade finde. Es ist ganz anders, als ich es machen würde. Aber sehr gut gespielt. (3. Satz Largo, Geigen-Kantilene) Sehr schön gespielt. Es hat ein bisschen was von Gidon Kremer. Der Ausdruck, wenn er nicht vibriert, ist bei Kremer ganz eigenartig, eigenartig schön. Aber es ist mehr Vibrato, als Kremer benutzen würde. Aber es gefällt mir sehr. Das Cello auch. Das Klavier kann ich noch nicht beurteilen. ... Ich würde sagen, der Geiger ist schon etwas älter. Und wahrscheinlich, ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster, steht er in der jüdisch-russischen Tradition. Der zweite Satz hat mich an Oleg Kagan erinnert. Hören wir mal den letzten Satz. Sehr spannend! (4. Satz) (Geigen-pizzicato) Die offene E-Saite, das hat russische Wurzeln. (tiefer Cello-Ton) Oh, das ist Theater. (lacht) Ist das Maisky? Dann müsste es Argerich sein. Dann müsste es auch Kremer sein! Gibt’s ja nicht. ... Das ist ein Wahnsinns-Stück! Ich habe es oft mit dem Beaux Arts Trio gespielt. Diese sechseinhalb Jahre gehören zu den schönsten und reichsten Erfahrungen in meinem musikalischen Leben. 400 Konzerte, 2 CDs. Es war toll, das gemacht zu haben. Ich werde immer Kammermusik machen, das sind die Vitamine für uns Musiker, ohne Kammermusik kann ich nicht leben. Aber ich spiele erst mal in keinem festen Ensemble mehr. Einen Schubert 50 Mal zu spielen über zwei Jahre hinweg und jedes Mal aufs Neue daran zu arbeiten – dieses Leben mit der Musik ist sehr intensiv und sehr inspirierend, aber auch sehr erschöpfend. Ich möchte das zumindest für die nächsten Jahre so in Erinnerung behalten.

Michael Tippett: Konzert für Violine, Viola, Cello und Orchester. György Pauk, Nobuko Imai, Ralph Kirshbaum, London Symphony Orchestra: Colin Davis 1981. Decca 
Das ist nicht unsere Aufnahme. Dann ist es wahrscheinlich György Pauk. Ich liebe dieses Stück. Aber es ist sehr probenintensiv. Allein diese Bläsersätze am Anfang. ... Und dieser Klagegesang hier, das ist toll! Das Stück ist rhythmisch extrem schwer, ich weiß noch, wie sehr wir zu leiden hatten. Aber es ist ein wunderbares Werk, weil er den Kern trifft zwischen dem Lyrischen und dem kompromisslos Rhythmischen. Das findet man besonders in der zeitgenössischen englischen Musik: bei Peter Maxwell Davies, Mark Anthony Turnage, Thomas Ades. Ich mag Musik nicht, die nur reinknallt und Effekt macht. Sie muss etwas Menschlichen haben, eine Seele. Tippett schreibt auch tolle Melodien. Neue Musik ist mir sehr wichtig. Ich bin überzeugt, diese Musik hat eine große Zukunft, aber die Interpreten müssen sich für sie einsetzen. Die Welt hat sich verändert, und wir können nicht mehr erwarten, dass die Zuhörer diese Musik einfach so gut finden. Die Interpreten und die Veranstalter müssen mit ihren Einführungen etwas dazu beitragen. Nach dem Violinkonzert von Maxwell Davies mit dem Gewandhausorchester kamen tolle Reaktionen vom Publikum. Und bei den Proms war es ähnlich. Da sagten Leute: Vielen Dank für das schöne Konzert. Das Wort „schön“ hört man nicht oft im Zusammenhang zeitgenössischer Musik. Dabei hat das Werk auch sehr dissonante Momente. Zeitgenössische Musik kann schön sein, ohne billig zu sein.

Johannes Brahms: Violinkonzert. Maxim Vengerov, Chicago Symphony Orchestra: Daniel Barenboim 1997. Teldec 
Ein wunderbares Konzert, Brahms gehört zu meinen absoluten Lieblingskomponisten. Das gefällt mir sehr. Sehr klar artikuliert. Ein sehr schöner Klang, sehr schöne Bögen. (Triller) Wow, der ist lang.... Ist das Vadim Repin? Das ist Vengerov? Das hätte ich nicht gedacht. ... Oh, das hier war wunderschön, können wir das nochmal hören? Wow, das ist Weltklasse! Er spielt diese Figur in einem Bogen, das macht sonst niemand. ... Ich schätze ihn sehr. Aber was ich immer so geliebt habe an ihm, ist dieses Explosionsartige. Und das finde ich hier nicht, das wundert mich. Es ist sehr gemäßigt. Ich bin auch nicht ganz glücklich mit dem Klang der Aufnahme, es gibt nicht genug Raum. ... Aber er ist ein grandioser Geiger. Für mich geht es bei einer Aufnahme oder einem Konzert um ein paar Sekunden. Ob jemand diesen Ton trifft oder jenen Triller schafft, das ist mir gar nicht so wichtig. Was für mich zählt: Gibt es einen Moment im Konzert, wo mir der Atem stockt. Und diese zwei Takte hier von Maxim – da kann man nichts mehr sagen. Das ist außerirdisch schön. Und dann ist es für mich eine tolle Aufnahme. Diese kleinen Momente, wo man merkt, da passiert etwas ganz außergewöhnliches – deswegen bin ich Musiker.

- Arnt Cobbers 2010
 

Alle Interviews und Porträts

„So undynamisch ist die Blockflöte gar nicht“

obelringer


Ein  Blind gehört mit Dorothee Oberlinger

 

Es passiert nicht oft, dass Dorothee Oberlinger für mehrere Tage am Stück zu Hause in Köln ist. Die gebürtige Aachenerin ist Professorin für Blockflöte und leitet die Abteilung Alte Musik am Mozarteum in Salzburg, sie ist Intendantin der Arolser Barockfestspiele und hat einen gut gefüllten Konzertkalender. Am Nachmittag vor einem Konzert im Jahr 2011 nahm sie sich Zeit fürs CD-Hören. „Das CD-Raten haben wir früher abends beim Essen gemacht – ich liebe dieses Spiel.“ 

Jan van Eyck: Preludium of Voorspel aus: Der Fluyten-Lusthof. Dan Laurin 1996. BIS

Da fallen mir nur zwei ein, die das eingespielt haben: der junge Eric Bosgraf und Dan Laurin, der alle Stücke aus dem Fluyten-Lusthof aufgenommen hat, das sind über zehn Stunden Musik. Mir fällt auf, dass es eine sogenannte Handfluyt ist, aus einem Stück Holz gebaut, genauso eine Flöte hat der blinde van Eyck gespielt, wenn er sonntags die Kirchgänger von Utrecht mit seinem Flötenspiel erfreut hat. Das ist wie ein Blick ins 17. Jahrhundert. Es ist sehr schön geblasen, mit Drive, mit einem gut geführten Luftstrom, und interessant ist, dass die schnellen Notenwerte zum Teil gebunden sind. Das ist so eine Diskussion in den Alte-Musik-Kreisen, ob man zur Zeit des Frühbarock so viel Legato gespielt hat, denn die alten Quellen sagen, dass man die schnellen Notenwerte alle stoßen soll, aber weich. Dass sich der Flötist hier traut, sie schwungvoll in einer großen Geste zu binden, finde ich gut, ich mache das selbst auch. Der Fluyten-Lusthof ist ja das umfangreichste Solowerk für ein Blasinstrument überhaupt, die Noten hat jeder Blockflötist zu Hause. Aber es reicht, dass Dan Laurin das komplett eingespielt hat, er hat es für uns alle getan. Es hat den Touch einer Anthologie. Manchmal höre ich mir ein Stück an, wenn ich mich inspirieren lassen will. Ich bewundere ihn sehr, als Studentin habe ich mir alle CDs von ihm gekauft.

Georg Philipp Telemann: Sonate für Blockflöte und basso continuo F-Dur TWV 41: F2. Frans Brüggen mit Anner Bylsma (Violoncello) und Gustav Leonhardt (Cembalo) 1969. Apex 

Herrlich, das ist Frans Brüggen, eine ganz alte Aufnahme aus den 60ern. In 440 Hertz, auf einer Coolsma-Flöte eingespielt, da hat er noch ein schnelles Vibrato über alles gelegt. Danach hat er ja viele Wege beschritten, da gab es die Non-Vibrato-Phase und dann die Zeit, wo er es als Gewürz eingesetzt hat. Der moderne Stimmton 440 hz klingt für mich ein bisschen wie eine LP, die zu schnell abgespielt wird. Heute spielen wir spätbarocke Musik ja in 415 hz oder tiefer. Diese wunderbare F-Dur-Sonate von Telemann wird viel zu selten im Konzert gespielt, weil sie ein bisschen zur Jugend-Musiziert-Literatur verkommen ist, jedes Kind spielt sie, wenn es Altflöte spielt. Dabei ist es so tolle Musik, einfach gute Gebrauchsmusik, geschrieben für die Hamburger Bürger. Von Frans Brüggen hing ein großes Poster in meinem Jugendzimmer. Es gab schon noch andere Blockflötisten, aber er war die Glamourfigur, und ich glaube, wenn er zu dem Zeitpunkt nicht da gewesen wäre, wäre die Geschichte der Blockflöte anders verlaufen. Seine späteren Einspielungen sind immer noch großartig, vom Timing und der Ornamentik her, vom Klang und überhaupt vom Geschmack her. Es ist in den letzten Jahren tendenziell alles schneller und lauter geworden, aber nicht unbedingt besser. Frans Brüggen hat für schnelle Sätze oft gemäßigte Tempi gewählt, je nach Charakter. Heute gibt’s oft nur noch schwarz und weiß, sehr langsam oder sehr virtuos, aber die Zwischenfarben gehen dabei verloren. Brüggen und seine Kollegen haben damals vieles zum ersten Mal gespielt, wir heute haben manches Stück schon hunderte Male gespielt und gehört und machen es vielleicht deshalb immer schneller und immer verrückter, damit es für uns interessant bleibt. Brüggen hat noch diese Ruhe gehabt, diesen Pioniergeist, zu dem wir zurückfinden sollten.

Johann Sebastian Bach: Sonate Es-Dur BWV 1031. Michala Petri mit Keith Jarrett (Cembalo) 1992. RCA Red Seal

Es klingt wie die C-Dur-Sonate BWV 1033 von Bach, aber noch galanter. Ist das Telemann? Das ist doch kein Bach, ich kenne doch alle Bach-Sonaten! (Sie guckt im Lexikon nach) „Bachs Autorenschaft ist nicht zweifelsfrei gesichert.“ Ein schönes Stück, muss ich mir angucken. Alle anderen Bach-Sonaten werden dauernd gespielt – warum diese nicht? Weil man nicht sicher weiß, ob es wirklich Bach ist? Ist das Michala Petri? Sie hat einen sehr stromlinienförmigen, glatten Klang, sie spielt meist in 440 hz mit sehr harten Hölzern, sehr brillant, ziemlich schnörkellos, aber ich finde, dass ihr Klang dadurch auch etwas Zauberhaftes hat. Sie hat immer ihre eigene Linie verfolgt, ist nicht mit der Alte-Musik-Szene gegangen. Ist das Keith Jarrett am Cembalo? Es ist interessant, dass er so steif spielt. Im Jazz ist er so frei, und in der Klassik spielt er total korrekt. Es ist ein komisches Phänomen, das Jazz-Musiker häufig ihre Freiheit nicht mitnehmen, wenn sie Klassik spielen.

Antonio Vivaldi: Konzert für Blockflöte und Orchester c-Moll RV 441. 2. und 3. Satz. Sébastien Marq, Ensemble Matheus: Jean-Christophe Spinosi 2001. Opus 111

Vivaldi schreibt am Anfang des Largos keine Keile über den Viertelnoten, aber sie spielen statt der notierten Viertelnoten Achtel und machen ein „Largo e spiccato“ daraus. Lustige Verzierung... Das Largo empfinde ich langsamer und statischer, als Ruhe vor dem Sturm. (3. Satz) Ist das Spinosi mit Sébastien Marq? Die setzen total auf Effekt. Um Gottes Willen! Ich vermute fast, man hat bei der Aufnahme an den Reglern gedreht, um diese plötzlichen crescendi und decrescendi zu unterstützen. Ich habe den letzten Satz mit seinem Fugenthema immer viel strenger empfunden. Das c-Moll-Konzert ist für mich eines der schönsten Flötenkonzerte von Vivaldi. Er wählt c-Moll, um so etwas Verhangenes, Nebulöses zu erreichen, durch die Gabelgriffe, die man bei den ganzen Vorzeichen spielen muss, bekommt man keinen volltönenden Klang. Von der ganzen Struktur her ist das Konzert so interessant und so gut gearbeitet! Hier hätte man mehr Vertrauen in die Komposition legen können.

Arcangelo Corelli: Concerto per flauto Nr. 10 F-Dur. Maurice Steger, The English Concert: Laurence Cummings 2009. harmonia mundi 

Ich liebe diese Platte! Das ist super gespielt, frisch und mit Witz, und es ist wirklich was Neues. Maurice hat diese verrückten Verzierungen verschiedener Komponisten von Corellis op. 5 für die Solo-Flöte gefunden und legt sie über die Orchesterbearbeitung von Geminiani. Diese Stücke waren große Mode, die hat man in den Clubs in London gespielt und dabei möglichst virtuos verziert... Auch wenn wir so unterschiedlich spielen und sind, können Maurice und ich gut zusammen spielen. Bei der letzten CD-Aufnahme in Italien fehlte mir noch eine Flöte, da hat er mir ganz schnell eine aus der Schweiz geschickt. Wir Blockflötisten benutzen für fast jedes Stück eine andere Flöte, jede hat ihren eigenen Charakter. Ich habe mittlerweile an die hundert Instrumente.

Georg Philipp Telemann (zugeschrieben): Concerto in g-Moll. Dorothee Oberlinger, Ensemble 1700: Reinhard Goebel 2009. deutsche harmonia mundi 

Ich war gerade unterwegs zu einem Konzert, als Reinhard Goebel mich anrief und sagte: Dorothee, ich habe ein Geburtstagsgeschenk für dich – ich habe ein Telemann-Konzert für Blockflöte entdeckt. Ich dachte nur: Ich glaubs nicht. Dann hat er mir das Faksimile geschickt – und ich sah ein ganz tolles, hochvirtuoses Konzert für die Altflöte. So etwas passiert heute nur noch extrem selten. Das wird, auch wenn Telemanns Autorenschaft nicht 100prozentig gesichert ist, sicherlich ein neues Repertoirestück. Es gibt einige ungewöhnliche Stellen wie hier gerade diese langen geigerischen Passagen, wo man gar nicht weiß, wo man atmen soll – ich habe das gelöst über Verzierungen, die das kaschieren und die generell lange Stellen ohne Harmoniewechsel dynamischer machen. Der Höhepunkt wird dann mehr herausgearbeitet. Diesen Trick benutzt auch Vivaldi. Aber so undynamisch, wie ihr immer vorgeworfen wird, ist die Blockflöte gar nicht. Durch die vielen Alternativgriffe oder indem man etwa Löcher nur halb zumacht oder langsam öffnet, kann man mit Klangfarben arbeiten und in begrenztem Maße auch mit Dynamik. Und man muss als Blockflötist lernen, Dynamik vorzutäuschen z.B. durch Timing, ob ich einen Ton etwas zu früh oder verzögert bringe und durch das Vibrato. Wird es schneller, erweckt es den Eindruck eines Crescendo, legt man ein gleichförmiges Vibrato über eine Passage, wirkt sie statisch. Die Zusammenarbeit mit Goebel war toll, wir wollen eine Fortsetzung machen. Mit Telemann. Es gibt hoffentlich noch mehr Archivfunde dieser Art, ich warte immer noch auf das Bach-Blockflötenkonzert!

- Arnt Cobbers 2011
 

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Konzerttipp der Woche: Göttlicher Irrrsinn oder Blendwerk des Teufels?

 Vierne2

Orgel-Symphonien von Louis Vierne in der St. Hedwigs Kathedrale

Bei uns gilt der Impressionismus als Frankreichs großer Beitrag zur frühen Moderne. Die Franzosen sehen das verständlicherweise etwas differenzierter.

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