Premierenkritik:
Strauss' Ariadne auf Naxos
an der Staatsoper Berlin
Alles richtig gemacht, mehr noch: Viel besser kann dieser Strauss-Klassiker kaum gemacht werden. Besetzung, Bühne, Regie und Orchester liefern jeweils höchste Qualität, und aus ihrem Zusammenwirken könnte ein vollkommener Opernabend entstehen, hätte sich Hans Neuenfels auch noch den einen letzten Rückfall in sein altes Provokationsmuster verkniffen, nämlich den Auftritt der vier Spaßmacher mit Umschnalldildos. Das ist wirklich peinlich, aber es ist die einzige Peinlichkeit dieser herausragenden, geradezu klassisch-zeitlosen Produktion. Neuenfels stellt das Stück in den Mittelpunkt und enthält sich aller Deutungswillkür, in der gewöhnlich die Existenzberechtigung von Regisseuren heutzutage besteht. Es lässt die Tiefendimension der Ariadne unaufdringlich sichtbar werden, setzt die Tragik und die Komik des Geschehens ohne billige Stereotypen ins Bild.
An diesem Bild haben Katrin Lea Tag (Bühne) und Andrea Schmidt-Futterer (Kostüme) gehörigen Anteil: Ariadne lebt auf Naxos in einer weißen, klinischen Welt, durch die nur ein paar staubige Ruinenteile poltern. Dazu sehr wirkungsvolle optische Reizfarben: Zerbinetta im knallroten und Ariadne im nachtschwarzen Kleid, Bacchus mit goldener Rüstung. Das ist doch etwas anderes als die ewigen Blut- und Dreckorgien einfallsloser Inszenierungen. Hier gibt es nicht mal einen Tropfen Blut, wenn sich Ariadne am Ende erdolcht – weil dergleichen unnötig ist, um Dramatik zu erzeugen. Für diesen Zweck hat man die Musik, den Gesang und letztlich die Schauspielkunst der Sänger! Und damit wird, bei aller Zurückhaltung, in dieser Ariadne geprunkt.
Camilla Nylund als tragisch-elegische „grande dame“, stolz ihrem Leiden ergeben, treffsicher alle Höhen der Hauptpartie meisternd und großartig zurückhaltend selbst in der berühmten Arie Es gibt ein Reich, wo alles rein ist. Marina Prudenskaya spielt und singt die Partie des Komponisten auf gleichem Niveau, verleiht der hochgestochenen Verzweiflung des Tonsetzers einen Zug ins Burschikose, ohne ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Brenda Rae meistert die haarsträubenden sängerischen Stolpersteine der Zerbinetta mit Bravour und hat als echte Soubrette auch keine Schwierigkeiten, das Publikum um den Finger zu wickeln. Roberto Saccà gibt einen stimmgewaltigen Bacchus, Roman Trekel einen wunderbar weltfremden und schlotternden Musiklehrer. Auch die vier Spaßmacher und die drei mythologischen Damen – hier als Krankenschwestern – fallen nicht ab.
Zum eigentlichen Helden des Abends aber wird Ingo Metzmacher, der das Zusammenwirken aller Akteure hervorragend justiert und dem Orchester einen knisternden Sound entlockt, der Ariadne auf Naxos als ein Werk des 20. Jahrhunderts kenntlich macht. Die hymnische Schluss-Szene fällt deswegen nicht dürftiger aus. Metzmacher hat in Berlin schon viele Glanzlichter angezündet, im Konzert- wie im Opernhaus. Es wird Zeit, dass er nach seinem unglücklichen Ausscheiden beim Deutschen Symphonie-Orchester endlich in die Hauptstadt zurückkehrt, die seine innovativen Programme wie auch seine originellen Deutungen des Altbekannten gut gebrauchen kann. Mit dem Strauss ist ihm – und Neuenfels – jedenfalls die beste Premiere der laufenden Berliner Saison gelungen. Wenn nicht an den anderen Häusern noch Wunder geschehen…
- Volker Tarnow
Ariadne auf Naxos, Staatsoper im Schillertheater
Nächste Vorstellungen: 17., 20., 22., 25. und 27.06.2015
www.staatsoper-berlin.de